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Botschafter Shi Minde gab Handelsblatt ein Interview: "Wir sind längst eine Marktwirtschaft"
2016/06/01
 

Shi Mingde, Botschafter in Berlin, ist überzeugt, dass China längst eine Marktwirtschaft ist. Im Interview spricht er über Diskriminierung durch die EU, die Verschmelzung zweier Kontinente und eine neue Seidenstraße.

Shi Mingde ist ein chinesischer Diplomat. Er studierte von 1972 bis 1975 in der DDR und war von 1976 bis 1982 Mitarbeiter in der dortigen chinesischen Botschaft. Nach der Wende wurde der 61-Jährige Vizereferatsleiter der Westeuropa-Abteilung des chinesischen Außenministeriums. Nachdem er im August 2010 für zwei Jahre als Botschafter nach Wien berufen wurde, bekleidet er seit 2012 als Nachfolger von Wu Hongbo das Amt des chinesischen Botschafters in Berlin.

Herr Botschafter, wo sehen Sie derzeit die größten Chancen für deutsche Firmen in China?

Der Handel zwischen China und Deutschland hatte im vergangenen Jahr ein Volumen von mehr als 160 Milliarden US-Dollar. Das ist ein Drittel des gesamten China-EU-Handels. Der Handel zwischen China und Deutschland ist damit größer als der zwischen China, Frankreich, Großbritannien und Italien zusammen. Mehr als 8200 deutsche Firmen sind in China tätig. Ich sehe große Chancen für deutsche Unternehmen in China quer durch alle Wirtschaftsbereiche.

Die Chancen sind unbestritten. Aber es gibt auch Risiken. Deutsche Unternehmen klagen über den Zwang, mit chinesischen Kooperationspartnern zusammenarbeiten zu müssen. Wird sich das ändern?

Es ist richtig, dass wir noch nicht alle Wirtschaftsbereiche für ausländische Investoren geöffnet haben. Aber wir sind auf einem guten Weg. Immer mehr Wirtschaftsbereiche stehen ausländischen Unternehmen offen. Sie können in einigen Bereichen auch ohne chinesischen Partner agieren. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Sie ist ein zentraler Bestandteil unseres kürzlich beschlossenen Fünf-Jahres-Plans. Wir haben jetzt in China fünf Freihandelszonen errichtet, in die sich die Regierung nicht mehr einmischt. Wir haben außerdem Bereiche geöffnet, die früher ausschließlich für staatseigene Betriebe reserviert waren, etwa den Energiesektor. Außerdem können jetzt ausländische Unternehmen Krankenhäuser in einigen Städten gründen, und zwar ausschließlich mit eigenem Kapital.

Welches Ziel verfolgen Sie mit der Öffnung?

Wir streben eine vollständige Gleichbehandlung zwischen ausländischen und chinesischen Unternehmen an. Wir gehen dabei Schritt für Schritt voran. Aber wir können nicht alle Ziele gleichzeitig erreichen.

Was bleibt, sind bürokratische Hürden für Unternehmen, die in China investieren wollen.

Die chinesische Regierung hat in den letzten Jahren mehr als 270 Genehmigungsverfahren abgebaut. Das bedeutet weniger Bürokratie. Wir haben auch mehr Entscheidungsbefugnisse in die Regionen verlagert.

Der mangelnde Schutz geistigen Eigentums in China ist für westliche Unternehmen ein Riesenproblem. Arbeiten Sie daran, das Schutzniveau zu verbessern?

Wir haben in Shanghai und Peking zwei unabhängige Gerichte gegründet, die speziell mit Problemen des geistigen Eigentums beschäftigt sind. Wir sehen, dass nicht nur ausländische Firmen, sondern auch chinesische Unternehmen mehr und mehr darunter leiden, dass es Lücken im Schutz geistigen Eigentums gibt. Die Gefahr wird größer, je mehr chinesische Unternehmen in Forschung und Innovation investieren. Das gilt insbesondere mit Blick auf Industrie 4.0. Und wir sprechen auch über Datensicherheit. Das wird ein wichtiges Thema sein bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen Anfang Juni in Peking. Wir nehmen diese Probleme sehr ernst. Das sind nicht nur Probleme der deutschen Firmen. Das sind auch Probleme der chinesischen Firmen. Wir wollen durch gemeinsame Konsultationen und Gespräche Lösungen finden.

In Deutschland gibt es Berichte darüber, dass China ein Gesetz geschaffen hat, dass es dem Staat ermöglichen soll, auf Kundendaten von Unternehmen zuzugreifen. Das lässt das Vertrauen in die Investitionsbedingungen in China schwinden.

Es ist richtig, dass wir neues Sicherheitsgesetz verabschiedet haben. Im Vorfeld haben viele ausländische Unternehmen Befürchtungen geäußert, und die Regierung spricht jetzt mit Unternehmen. Unser Ziel ist es, dass China sich weiter öffnet. Das ist die eigentliche Absicht und daran soll es keinen Zweifel geben. In der konkreten Umsetzung sind wir bereit, mit unseren Freunden zu sprechen.

Viele Unternehmen aus dem Ausland sorgen sich um die wirtschaftliche Entwicklung Chinas. Sind diese Sorgen gerechtfertigt?

Wir schlagen mit dem 13. Fünf-Jahres-Plan ein neues Kapitel unserer Wachstumsstrategie auf. Das Motto heißt jetzt statt Quantität mehr Qualität und Effizienz. Die Phase des zweistelligen Wachstums in China ist vorbei. Wir kommen jetzt in die Phase der Umstrukturierung und der nachhaltigen Entwicklung. Die fünf Schlüsselwörter lauten: Wachstum durch Innovation, Wachstum durch mehr Ökologie, durch Koordinierung, durch mehr Offenheit und mehr Teilhabe. An erster Stelle steht dabei die Innovation.

Was steckt konkret dahinter?

Ein Schwerpunkt unserer Innovationsstrategie ist das Thema Industrie 4.0, wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Made in China 2025". Wir werden die Prioritäten dieser Kooperation bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen festlegen. Deutschland ist uns beim Thema „Industrie 4.0" einen Schritt voraus, wir wollen diesen Abstand in Kooperation mit deutschen Unternehmen verkleinern. In einer Zusammenarbeit sehen wir große Chancen für beide Seiten. Wir wollen die Modernisierung unserer Industrie mit dem Internet verbinden und die Digitalisierung von Prozessen voran treiben. Dazu brauchen wir die Kooperation mit Deutschland.

Ist die deutsche Energiewende für Sie ein Modell?

Durchaus. Die Umweltprobleme in China sind sehr ernsthaft. Der Smog in mindestens 23 Provinzen ist sehr stark. Fast 90 Prozent der Flüsse sind verunreinigt. Das sind bei uns nicht mehr ökologische Probleme, sondern soziale und politische Probleme. Die Menschen appellieren an die Regierung und kritisieren die Regierung, dass sie zu wenig getan hat. Zwar leben in China immer mehr Menschen in materiellem Wohlstand, aber sie lernen jetzt dessen Schattenseiten kennen. Früher hatten wir in Peking fünf Millionen Radfahrer, jetzt sind es binnen weniger Jahre mehr als fünf Millionen Autos geworden. 70 Prozent der Energie Chinas kommt aus der Kohle. Das muss sich ändern. Die Regierung hat beschlossen, keine weiteren Kohlekraftwerke zu bauen. Und die vorhandenen Kraftwerke sollen modernisiert werden. Da sehen wir auch Chancen für die deutsche Industrie.

Das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahr hat in China große und finanzstarke Unternehmen entstehen lassen, die weltweit auf Einkaufstour gehen. Welche Rolle spielt Deutschland als Investitionsstandort?

Mit Freude stellen wir fest, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China keine Einbahnstraße mehr ist. Immer mehr chinesische Unternehmen kommen nach Deutschland, mittlerweile sind es mehr als 2000. Das wird sich fortsetzen. Wir freuen uns sehr darüber, dass chinesische Investoren in Deutschland mittlerweile sehr willkommen sind. Anfangs waren die Vorbehalte ja groß.

Inwiefern?

Viele Deutsche dachten, die Chinesen hätten es allein darauf abgesehen, ihre Technologie zu übernehmen oder gleich ganze Fertigungsstraßen in Deutschland ab- und in China wieder aufzubauen. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass Chinesen langfristig denkende Investoren sind. Sie sorgen für volle Auftragsbücher, schaffen Jobs und pflegen ein gutes Verhältnis zu den Gewerkschaften.

Sehen Sie Kooperationsmöglichkeiten außerhalb Deutschlands und außerhalb Chinas?

Ja, auf jeden Fall. Bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen werden wir einen neuen Bereich für Kooperationen erschließen, nämlich die Kooperation bei Projekten in Drittstaaten.

Wie soll das gehen?

Den idealen Hebel dafür bietet die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB), an der 57 Staaten beteiligt sind, darunter 17 europäische. Deutschland hat den größten Anteil von den Ländern außerhalb Asiens und besetzt auch die Position als Vize-Gouverneur. Die ersten Projekte stehen schon da. Wir schätzen, dass Asien Jahr für Jahr 800 Milliarden US-Dollar für Infrastrukturinvestitionen benötigt. Über die AIIB können China und Deutschland jetzt gemeinsam solche Infrastrukturprojekte in asiatischen Ländern umsetzen. Da sehe ich ein riesiges Potenzial für unsere Kooperation.

Welche konkreten Projekte meinen Sie?

Das beste Beispiel ist das Seidenstraßenprojekt. Es verbindet China als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt auf dem Landweg mit Deutschland, der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Zwischen diesen beiden Volkswirtschaften liegt eine riesiger Wirtschaftsraum, den Chinesen und Deutsche gemeinsam erschließen können. Wir können uns gemeinsam beteiligen an vielen Infrastrukturprojekten in Zentralasien. Bislang treten chinesische und deutsche Unternehmen dort als Konkurrenten auf. Warum können wir nicht aus dieser Konkurrenz eine Kooperation entwickeln? Chinesische Unternehmen verfügen über Vorteile und Stärken, deutsche Unternehmen ebenso. Wir sollten Hand in Hand anfangen, entlang der Seidenstraße gemeinsame Infrastrukturprojekte zu entwickeln. Die Firmen haben schon begonnen, miteinander zu sprechen. Die Regierungen werden einen guten Rahmen schaffen für die Kooperation.

Eine Bahnverbindung über die Seidenstraße von China nach Deutschland gibt es ja bereits. Reicht das nicht?

Nein, bei weitem nicht. Das ist stark ausbaufähig. Die Bahnfahrt dauert nur 12 Tage, auf dem Seeweg sind es drei Monate. Per Luftfracht geht es zwar schneller, aber die Kosten sind enorm hoch. Wir müssen die Bahnverbindung stark ausbauen und intensiv nutzen.

Damit China ganz Europa noch kostengünstiger mit seinen Waren überschwemmen kann?

Es ist richtig, dass die Züge von China nach Europa voll sind, in Gegenrichtung aber nur halbvoll. Aber das kann sich auch ändern. Wir gehen deshalb an die Firmen heran, an die die großen Autofirmen. VW und Daimler können auch ihre Autos per Zug transportieren, ebenso Ersatzteile und Chemie. Wenn China und Deutschland zusammenarbeiten, dann können wir das schaffen und ich glaube, mit diesem Projekt wollen wir die Wirtschaftsbeziehungen der Länder an der Seidenstraße miteinander verbinden. Wenn wir wirtschaftlich miteinander vernetzt sind und wir voneinander abhängig sind, dann ist das ein Beitrag zu mehr Stabilität in der Region. Zwei Kontinente verschmelzen zu einem wirtschaftlichen Kontinent. Das ist der Gedanke.

China will bis Ende des Jahres den Status einer Marktwirtschaft bekommen. In Deutschland sind die Zweifel groß. Wie bewerten Sie die Diskussion?

Hier in Europa wird sehr viel über den Marktwirtschaftsstatus Chinas diskutiert. In China sprechen wir wenig über diesen Begriff, uns geht es vielmehr um den Artikel 15 der entsprechenden WTO-Dokumente. Dort taucht der Begriff „Marktwirtschaftsstatus" gar nicht auf. Das ist ein Begriff der Europäischen Union. Er dient der politischen Diskriminierung.

Das ist ein schwerer Vorwurf.

Wir fragen uns: Wo ist das Kriterium für den Marktwirtschaftsstatus? Und zweitens fragen wir uns: Warum kann die EU Russland Marktwirtschaftsstatus einräumen und China nicht? Und drittens: China ist größter Handelspartner für 128 Staaten auf der Welt. Wir praktizieren seit mehr als 30 Jahren Marktwirtschaft. Wir sind davon überzeugt, dass wir schon längst eine Marktwirtschaft sind. Die große Diskussion geht eigentlich um die Gültigkeit von Artikel 15 der WTO-Dokumente und nicht um den Begriff Marktwirtschaft. Man sollte das nicht verwechseln.

Die europäische Stahlbranche klagt über die Praktiken ihrer chinesischen Konkurrenten. Sie werfen ihnen Dumping vor. Ist das konform mit WTO-Regeln?

Es geht für uns in dieser Sache in erster Linie um politische Glaubwürdigkeit. Wir sind WTO-Mitglieder und wir haben WTO-Regeln festgelegt zwischen China und Europa. Und jetzt soll plötzlich nichts mehr gelten, weil die Stahlbranche Europas nicht mehr konkurrenzfähig ist? Das ist für mich Ausdruck von Protektionismus der Europäer. Man hat vor 15 Jahren bei der Unterzeichnung der WTO-Dokumente offensichtlich nicht damit gerechnet, dass die chinesische Wirtschaft so rasch konkurrenzfähig werden würde. Darum fühlen sich bestimmte Kräfte in Europa nun nicht mehr an Vereinbarungen gebunden.

Sie haben also keinerlei Verständnis für die Kritik der europäischen Stahlindustrie?

Kürzlich hatte ich hier in der Botschaft zu einem Gespräch mit Vertretern der Stahlindustrie, Vertretern des Auswärtigen Amtes, Vertretern des Wirtschaftsministeriums und des BDI eingeladen. Wir waren uns darüber einig, dass es weltweit Überkapazitäten in der Stahlindustrie gibt. Vor sieben, acht Jahren war die Nachfrage riesig, nicht zuletzt aufgrund des starken chinesischen Wachstums. Heute haben wir eine andere Situation. Alle leiden unter der schwachen Konjunktur der Welt. Der eigentliche Grund liegt in den Problemen der Weltwirtschaft. Nicht in der Frage der Überkapazität in China. Weil China über die Hälfte der weltweiten Kapazität verfügt, soll China allein schuld sein?

Die Europäer werfen den Chinesen vor, die eigenen Stahlunternehmen zu subventionieren. Ist da etwa nichts dran?

Wer uns vorwirft, wir würden Stahlprodukte subventionieren, sollte sich einen anderen Aspekt vor Augen führen: Ein Stahlarbeiter in den USA verdient 60.000 US-Dollar im Jahr, in Europa und Japan sind es 50.000 Dollar. Und in China? In China sind es 7000 Dollar. Außerdem sind in China die Umweltauflagen ganz andere. Insgesamt lässt sich in China somit zu viel geringeren Kosten Stahl produzieren. Noch etwas: In China wird Stahl minderer Qualität produziert, in Deutschland dagegen ganz besonders hochwertiger. Da gibt es nur wenig Berührungspunkte.

Wie lässt sich das Problem lösen?

Alle Stahlproduzenten sind in Schwierigkeiten. Wie sollen wir mit diesen Schwierigkeiten umgehen? Der Kompromiss heißt: Gespräche führen. Die Regierungen sollen miteinander sprechen, die Branchen sollen miteinander sprechen und nach einem Kompromiss suchen und nicht Sanktionen oder Strafen verhängen. Wenn das so weitergeht, sind am Ende beide Verlierer. Aber ich muss noch auf einen Punkt aufmerksam machen: Das gesamte Volumen der Stahlindustrie macht insgesamt nur zwei Prozent des gesamten Handels zwischen China und der EU aus. Wir sollten nicht wegen dieser zwei Prozent die gesamten Wirtschaftsbeziehungen in Mitleidenschaft ziehen.

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